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Traktoren, 05.07.2013

AUTOMATISCHE LENKSYSTEME FÜR DEN WEINBAUSCHLEPPER

Automatische Lenksysteme sind ein wichtiger Baustein des Präzisen Landbaus.
Automatische Lenksysteme sind ein wichtiger Baustein des Präzisen Landbaus. In der Flächenlandwirtschaft sind diese bereits wesentlicher Bestandteil einer bestandesangepassten und ökonomisch wie ökologisch optimierten Wirtschaftsweise. Für die Sonderkultur Weinbau liegen hierzu bislang nur wenige Erkenntnisse vor. Vor diesem Hintergrund wurde im Fachgebiet Technik der Forschungsanstalt Geisenheim eine Praxisstudie durchgeführt. Die grundsätzliche Eignung derartiger Systeme zur Spurführung eines Weinbergschleppers wurde anhand eines exemplarisch ausgewählten, ultraschallbasierten Spurführungssystems geprüft. Weiterer Untersuchungsschwerpunkt war der Nachweis potenzieller Auswirkungen auf ergonomische Kriterien des Schleppereinsatzes. Die Ergebnisse lassen eine zukünftig wachsende Bedeutung automatischer Spurführungssysteme im Weinbau erwarten.
 
Gängige Produktionsverfahren im Weinbau erfordern mit jährlich bis zu 20 Überfahrten in jeder Rebzeile eine hohe Pflegeintensität. Grundlage einer weitestgehenden Mechanisierung der Pflegearbeiten ist die lineare Anordnung der Rebstöcke in Spalierform. Das präzise Lenken entlang dieser fixen Strukturen stellt hohe Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit des Fahrzeugführers. In der Folge steht diese nicht mehr für eine Kontrolle des Pflanzenbestandes oder zur Überwachung der Anbaugeräte zur Verfügung.
Automatische Systeme zur Fahrzeuglenkung sind in der Lage, den Fahrer deutlich zu entlasten und bewirken somit eine Steigerung der Arbeitsqualität und Effizienz des Einsatzes von Maschinen und Produktionsmitteln [1]. Diese Erkenntnisse aus der Flächenlandwirtschaft sind sinngemäß auch auf den Einsatz automatischer Spurführungssysteme im Weinbau übertragbar. Es ist jedoch zu beachten, dass die automatische Fahrzeuglenkung im Sonderkulturanbau oft weniger ein exaktes Parallelfahren zur vorangegangenen Fahrspur erfordert als vielmehr eine präzise Spurführung entlang des tatsächlichen Pflanzenbestandes. Satellitengestütze Systeme sind hierfür nur bedingt geeignet [2]. Vor diesem Hintergrund ist eine direkte Abtastung des Pflanzenbestandes durch Sensortechnik zu bevorzugen. Bei der Entlastung des Fahrers durch den Einsatz automatischer Lenksysteme sind die zu erwartenden Effekte im physischen und psychischen Bereich jedoch nicht unmittelbar einer wissenschaftlichen Messung zugänglich und müssen somit indirekt bestimmt werden [3].
In der im Folgenden vorgestellten Untersuchung sollten potenzielle Entlastungseffekte näherungsweise über eine Messung der Herzschlagfrequenz der Versuchsfahrer und deren Variabilität während der Messfahrten nachgewiesen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der gewählte Indikator einer multifaktoriellen Beeinflussung durch verschiedene soziologische und technische Faktoren unterworfen sein kann.
 

Weinbauliche Eignung automatischer Spurführungssysteme

Im Rahmen der Studie wurde das Lenkssystem Ultra Guidance PSR SONIC des Herstellers Reichhardt Elektronik verwendet (Abbildung 1). Die Sensorik des Lenksystems besteht aus insgesamt vier Ultraschallmodulen, welche variabel auf der Motorabdeckung des Schleppers angebracht werden können. Als Versuchsfahrzeug diente ein Schmalspurschlepper der Marke Fendt, Typ 209V. Dieser entspricht in seiner technischen Ausstattung im Wesentlichen der handelsüblichen Serienausstattung (Abbildung 2).
Um das Spurführungssystem bewerten zu können, wurden Messfahrten in Weinbergen mit unterschiedlichen Laubwandzuständen und -geometrien durchgeführt (Abbildung 3a-c). Zum Nachweis potenzieller Auswirkungen auf die jeweilige physische und psychische Fahrerbelastung wurden ausgewählte Weinbergzeilen von verschiedenen Fahrern jeweils mit manueller und automatischer Fahrzeuglenkung durchfahren. Währenddessen wurde deren Herzschlagfrequenz kontinuierlich dokumentiert.
Um die Akzeptanz und Nachfrage bezüglich automatischer Spurführungssysteme zu bewerten, wurde ergänzend eine quantitative, schriftliche Befragung unter Besuchern von weinbaulichen Fachausstellungen durchgeführt.
 

Fahrerentlastung und Steigerung der Produktivität

Anhand der durchgeführten Fahrversuche konnte die zuverlässige Funktion des untersuchten Lenksystems unter typischen Einsatz- und Umgebungsbedingungen im Weinberg nachgewiesen werden. Die Ultraschallsensorik ermöglichte durch Abtastung der Laubwand eine sichere Spurführung. Diese ist sowohl in den Sommermonaten mit homogener Laubwandstruktur (Abbildung 3a) als auch in den Wintermonaten mit ausschließlich rudimentär vorhandener Abtastungsfläche (unbelaubte einjährige Rebtriebe, Abbildung 3c) gewährleistet. Störungen und Ausfälle der automatischen Spurführung wurden nicht beobachtet. Nach subjektivem Fahrerempfinden ist durch die Optimierung von Sensorausrichtung und Softwarekonfiguration eine gegenüber der manuellen Variante gesteigerte Präzision der Spurführung erzielbar.
Der dokumentierte Verlauf der Herzschlagfrequenz einer exemplarisch ausgewählten Versuchsfahrt belegt eine ausreichende Empfindlichkeit der gewählten Messmethode (Abbildung 4). Es ist dort eine deutliche Parallelität der Sequenz zwischen manueller und automatischer Lenkvariante erkennbar. Manuell am Zeilenende auszuführende Wendemanöver wurden als signifikante Anstiege der Herzschlagfrequenz ersichtlich (Peaks t.-t7), die in reproduzierbaren Abständen
auftraten. Darüber hinaus konnten regelmäßige Effekte eines im Zeilenverlauf lokalisierten Hindernisses konstatiert werden, welches ein manuelles Eingreifen des Fahrers in den Lenkvorgang erforderlich machte (Peaks 0,-oJ.)
Die mittlere Herzschlagfrequenz des Versuchsfahrers lag während der automatischen Spurführungsvariante mit 77,0 Schlägen • min"' nur geringfügig unter der manuellen Vergleichsvariante mit 78,2 Schlägen • min4. Anhand der vorliegenden Ergebnisse ist es mit dem Indikator Herzschlagfrequenz derzeit nicht möglich, eine signifikante Fahrerentlastung durch das automatische Lenksystem sicher nachzuweisen. Gleichwohl sind entsprechende Tendenzen erkennbar.
Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Messfahrten ausschließlich mit dem Schlepper als Solofahrzeug ohne Anbau- und Arbeitsgeräte durchgeführt wurden. Eine erhöhte Aufmerksamkeit des Fahrers für den eigentlichen Arbeitsprozess war somit nicht erforderlich. Möglicherweise ist der Nachweis einer deutlichen Fahrerentlastung über den gewählten Indikator erst bei insgesamt anspruchsvollerer Tätigkeit möglich. Die Auswertung der quantitativen Umfrage zeigt Zusammenhänge zwischen der bewirtschafteten Weinbaufläche und der Akzeptanz von sowie der Nachfrage nach Spurführungssystemen. Tabelle 1 zeigt, nach Betriebsgröße klassifiziert, dass die Nützlichkeit automatischer Spurführungssysteme mit wachsender Betriebsgröße subjektiv höher bewertet wird. Ein vergleichbarer Zusammenhang besteht sowohl mit der Motivation zur Anschaffung eines derartigen Assistenzsystems als auch mit der individuellen Zahlungsbereitschaft der Umfrageteilnehmer. Mit zunehmender Landwirtschaftsfläche nutzen die Befragten auch verstärkt andere Technologien des Präzisen Landbaus und ihre Innovationsbereitschaft steigt allgemein an.
 

Schlussfolgerungen

Es kann bestätigt werden, dass das untersuchte Spurführungssystem für die Weinbaupraxis grundsätzlich geeignet ist. Die erwartete Entlastung des Fahrers kann anhand des vorliegenden Datenmaterials nicht signifikant nachgewiesen werden. Tendenziell ist diese jedoch erkennbar, insbesondere unter Berücksichtigung subjektiv geprägter Aussagen der Versuchsfahrer. Um diese Fragen abschließend beurteilen zu können, sind weitergehende Untersuchungen erforderlich. Hierbei sind typische Bewirtschaftungsmaßnahmen und Arbeitsgerätekombinationen auszuwählen. Sie sollten detailliert unter dem Aspekt automatischer und manueller Fahrzeuglenkung verglichen werden. Es wird empfohlen, die Beanspruchungsmessung unter modifizierten Versuchsbedingungen und unter kritischer Prüfung des herangezogenen Indikators zu wiederholen. Die durchgeführte Umfrage bestätigt, dass die Weinbaupraxis automatische Spurführungssysteme akzeptiert und nachfragt.
Der Einsatz automatischer Lenksysteme scheint angesichts des technischen Fortschritts eine logische Weiterentwicklung der gegenwärtigen Schleppergeneration im Weinbau zu sein. Auch der konsequente Einsatz über- und mehrzellig arbeitender Gerätetechnik erfordert zunehmende Fahrerunterstützung durch elektronische Assistenzsysteme. Automatische Lenksysteme im Weinbau sind ein wichtiger Baustein in einer Kette von Steuer- und Regelvorrichtungen. Ihr übergeordnetes Ziel stellt, in Anlehnung an Entwicklungen im Pflanzenbau, die ganzheitliche Automatisierung des Produktionsprozesses dar. Insbesondere die Mechanisierung von Weinbausteillagen lässt hier ein deutliches Entwicklungspotenzial erkennen.

Literatur
[1]   Noack, P.O. (2004): GPS gestützte automatische Lenksysteme. Landtechnik 59(4), S. 256-257
[2]   Holpp, M. (2006): Parallelfahrsysteme für Traktoren - Technik und Wirtschaftlichkeit. ART Berichte Nr. 695, Hg. Forschungsanstalt Agroscope Recken holz-Tänikon
[3]   Rohmert, W.; Laurig, W. (1993): Physische Beanspruchung durch muskuläre Belastung. In: Ergonomie, Hg. Schmidtke, H., München, Wien, Carl Hanser Verlag, 3. Auflage

Medium

 
  • Die Forschungsanstalt Geisenheim ist eine der ältesten Forschungseinrichtungen des Wein- und Gartenbaus im deutschsprachigen Raum.
  • Im Rahmen einer engen Verknüpfung mit der Hochschule RheinMain werden in Geisenheim rund 1000 Studierende der Fachrichtungen Weinbau und Oenologie, Getränketechnologie, Gartenbau sowie Landschaftsarchitektur von den Mitarbeitern der Forschungsanstalt in Vorlesungen und Übungen mit betreut.
  • Ziel unserer Arbeit ist es, innovative Forschungen in anwendbare Handlungsansätze für die Praxis umzusetzen und anzubieten, um deren Konkurrenzfähigkeit zu stärken. Die zukünftigen Diplomingenieure, Bachelors und Masters sollen sowohl national als auch international Leitungsfunktionen in den von uns vertretenen Industrien übernehmen können.
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